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Samstag, 30. Juni 2012




La Rochelle - Stadtrundgang mit Evelyn

Es gibt wenige Orte, die das Gefühl vermitteln, nach Hause zu kommen. La Rochelle am Atlantik, fast 200 km nördlich von Bordeaux gelegen, ist solch ein Ort. Der belgische Schriftsteller Georges Simenon, der über diese Stadt die meisten Romane verfaßt hat, spricht sogar von einer innigen Liebe: „La Rochelle ist die Stadt, die ich am tiefsten in mein Herz geschlossen habe."
Wir nähern uns der Stadt am Meer auf dem Landweg und starten kurz nach unserer Ankunft zu einer Begrüßungsrunde. Zunächst schlendern wir durch den schattigen Parc Charruyer. In kleinen Grüppchen genießen junge Leute den frühen Sommerabend auf den Liegewiesen, die auch noch Platz für eifrige Fußball-Künstler bieten. Das Jungvolk liebt den Park, kein Wunder, zahlreiche angesehene Schulen sind in unmittelbarer Nachbarschaft. Geht man weiter in südlicher Richtung schließt sich ein Tiergarten an mit Gehegen für Rehe, Pfauen, Ziegen... Kleine Kinder sind entzückt und streicheln durch die Gitter die zutraulichen Tiere. Geschwungene Wege, die Vegetation zum Teil noch mediterran, verspielte Brücken - im nu erreichen wir die elegante Uferstraße. Das Meer zeigt sich und entblößt sehr viel Strand. Die Gezeiten sind extrem am Atlantik, und der starke Meeresgeruch geht sofort in die Nase.
Das Auge erfaßt sofort die imposante Hafeneinfahrt mit den beiden mittelalterlichen Türmen. Von See kommend ist links der Kettenturm, der eine Hebevorrichtung besitzt, mit der in früheren Zeiten das Hafenbecken mittels einer Kette verschlossen wurde. Mit dem St. Nikolas-Turm auf der gegenüberliegenden Seite ist das eindrucksvolle Ensemble zur Sicherung des Hafens komplett.
Umrundet man den alten Hafen, lockt ein buntes Viertel am Quai du Gabut mit Restaurants und kleinen Läden. Das bunt ist hier wörtlich zu nehmen: die holzverkleideten farbigen 2-stöckigen Häuser haben eine charmante moderne Ausstrahlung und erinnern irgendwie an das Flair in New Yorks beliebter Ecke South Street Seaport. Ein Restaurant neben dem anderen, dazu Terrassen unter schattenspendenden Platanen – alle gut besucht. Nach einer Erfrischung mit Blick auf den Hafen und die Altstadtkulisse vis a vis machen wir uns auf den Rückweg.
Durch das opulente Stadttor mit der großen Turmuhr aus dem 14. Jahrhundert betreten wir den Altstadtbereich. Wie aus einem Guß sind alle Häuser und Bauwerke aus hellem Tuffstein gearbeitet, viele Straßenzüge haben wuchtige Arkadengänge. Moderne Boutiquen, Bäckereien, Buchläden sind dort angesiedelt und machen die Altstadt lebendig. Kein Neubau stört das alte Stadtbild. „Vielleicht kommen gleich die Musketiere um die Ecke geritten...“ Ja, das könnte gut sein, diese Stadt regt die Fantasie an. Eine filmreife Stadt, die alljährlich Filmfestspiele veranstaltet. Plakate machen auf das 40. Internationale Filmfestival Anfang Juli aufmerksam. Diesmal eine Hommage an Charly Chaplin u.a. wie John Cassavetes oder den Meister der Zeichenfeder Tomi Ungerer - ein ausgefallenes Programm.
Im Vorübergehen sehen wir den verkleideten Justizpalast. Nach und nach wird die Altstadt verschönert, die Gebäude gereinigt und renoviert. Der großräumige Place du Verdun ist in Sichtweite und das Cafe de la Peix. Es befindet sich direkt neben dem Olympia-Lichtspieltheater und hat alle glamourösen Attribute eines Gran Cafes aus dem 19. Jahrhundert. Wir machen noch eine kleine Pause in dem schönen Ambiente und studieren das Film-Angebot des Festivals, bevor wir nach ca. 2 Stunden unseren Rundgang beenden.
Den Place du Marché mit der dekorativen Markthalle und Fachwerkhäusern aus dem 15. Jahrhundert werden wir morgen besuchen. Aber das ist eine eigene Geschichte, angefüllt mit verlockenden Düften, frischen Angeboten und Geschmackserlebnissen....
Die Stadt, die in Frankreich auch „die rebellische“ genannt wird, hat ihre eigenwillige Geschichte. Schon gegen 1100 als „freie Stadt“ anerkannt, entwickelte sie sich später zur Hochburg des Protestantismus. Eine neue Wendung erlebte die Stadt, die nun auch Hansestadt war, mit dem Seehandel mit der Neuen Welt. Das brachte auch viele Auswanderer auf den Plan. 2008 wurde eine Dauerausstellung eröffnet zur Gründung der Stadt Quebec und zu Ehren der Emigranten: „ La Rochelle – Quebeck, an Bord in Richtung Neufrankreich.“
Dem La Rochelle von heute mangelt es nicht an kulturellem Austausch. Die Angebote und Impulse sind vielfältig. Die stolze Hafenstadt atmet den Hauch von Freiheit und Abenteuer - eine Anziehungskraft und ein Zauber, dem man gern erliegt.


Leuchtturm am alten Hafen, Aquarell Evrelyn Tholl






Plakat zum Internationelen Film-Festival



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